«Konkurrenz auf dem Bike – sonst eine grosse Familie!»
Wie viel Freundschaft ist im Rennsport möglich? In seiner neuen Fit-for-Life-Kolumne äussert sich Mathias Flückiger über die Eigenarten im Mountainbike, Frechheiten auf den Trails – und seinen Dauerrivalen Nino Schurter.
«In erster Linie sind wir Mountainbiker Rennfahrer, wir kämpfen um Positionen, um die besten Plätze, um Siege, wir kämpfen im Rennen direkt gegeneinander. Anders als beispielsweise die Skirennfahrer, die möglichst schnell eine Piste hinunterkommen wollen. Oder die Zeitfahrer im Strassenradsport.
Bei uns ist ein Rennen immer auch Mann gegen Mann. Logisch, dass es dabei immer wieder umstrittene Aktionen gibt. Beim Weltcup in Nove Mesto beispielsweise hat mir der Rumäne Vlad Dascalu einmal grenzwertig den Weg abgeschnitten. Aber er hat sich gleich nach dem Rennen dafür entschuldigt. Für mich war die Sache damit erledigt. Oder die Aktion von Nino Schurter bei der letztjährigen Weltmeisterschaft im Val die Sole. Obwohl das Geschehen in den Medien ja zur Genüge durchgekaut worden ist, nehme ich das als Beispiel. Nino und ich lagen zu zweit in Führung. Kurz vor dem Ziel überholte er mich innen in der zweitletzten Kurve – und wurde wieder Weltmeister. Ich fand sein Überholmanöver im ersten Moment zu riskant und unkorrekt – und habe das nach dem Rennen auch zum Ausdruck gebracht. Ich war enttäuscht und wütend, weil ich diesen WM-Titel ebenfalls wollte und die Goldmedaille zum Greifen nahe war. Im Nachhinein musste ich sagen, Nino hat seine Chance in jener Situation einfach blitzschnell genutzt und mich überrascht. Ich ärgerte mich auch über mich selbst, weil ich ihm in jener Situation zu viel Platz gelassen hatte.
«Nino hat mich immer gepusht»
So ist der Rennsport. Und die Kämpfe um die Positionen sind ja auch ein schöner Teil der Faszination. Ich meine, ohne Nino wäre ich wohl nie so stark geworden. Er war lange Zeit der Massstab, unantastbar der Beste. Sein Niveau zu erreichen, auf die gleiche Stufe zu kommen, das hat mich immer motiviert. Auf diese Weise hat er mich während meiner ganzen Karriere gepusht. In der letzten Saison hat sich das Blatt gewendet. Da war ich erstmals stärker. In diesem Jahr nun ist Nino wieder die Nummer 1. Was mich erneut herausfordert.
Nino und ich, wir sind Kollegen und sehr respektvoll einander gegenüber. Auf den Rennstrecken aber sind wir Konkurrenten, vor allem im Weltcup. Unterwegs machen wir keine Geschenke. Da fährt jeder für sich. Wir sind ja auch in verschiedenen Teams.
Etwas anders sieht es bei Olympischen Spielen aus. Da sind wir beide im Nationalteam, wir fahren beide für die Schweiz und bereiten uns gemeinsam auf das Rennen vor. Es ist wahrscheinlich ähnlich wie im Fussball, wenn der YB-Spieler mit dem FCB-Spieler im Nationalteam zusammentrifft. An Olympischen Spielen sind wir einander näher, da sind wir mehr Kollegen als im Weltcup. Da ist es wichtig, dass ein Schweizer vorne ist.
Die Schwächen von Pidcock
Und vielleicht sind wir auch ein bisschen näher zusammengerückt, als die Stars von der Strasse, Mathieu van der Poel und Tom Pidcock, plötzlich in den Mountainbike-Weltcup eingriffen. Und uns manchmal mehr forderten als uns lieb war. Ich habe grossen Respekt vor beiden. Pidcock ist sehr talentiert, die Sportart Mountainbike ist auf seine Fähigkeiten zugeschnitten. Darüber hinaus ist er ein starker Sprinter – und ein Pokerface. Wenn er mal ein paar Meter abreissen lässt, heisst das nicht, dass er nun am Ende ist. Ein paar Sekunden später ist er wieder dran. Ich muss noch herausfinden, wo er seine Schwächen hat.
Mit den meisten Fahrern im Feld habe ich es gut, mit manchen sehr gut. Es gibt aber einen, der fährt wie ein Gestörter, unnötig risikoreich und gefährlich. Ich will ihn hier nicht mit Namen nennen. Sonst aber halten sich eigentlich alle an die Regeln. Natürlich fährt man da und dort die Ellbogen raus. Das gehört dazu. Vor allem auch im Shorttrack, wo das Rennen hektischer ist und es weniger Platz gibt. Nach dem Zielstrich aber ist der Konkurrenzkampf vorbei. Dann sind wir wieder Kollegen, mit Erfahrungen, Freuden oder Sorgen, die der andere verstehen kann, dann sind wir wie eine grosse Familie.
Vorfreude auf das Heimrennen
Und manchmal entstehen unverhofft neue Freundschaften – oder werden alte gefestigt. Wie jene mit Timon Rüegg, dem Radquer-Spezialisten, den ich aus den Zeiten beim Stöckli-Team kenne. Mit «Timi» verbinden mich auch Erlebnisse abseits der Rennstrecke. Nur zu gut erinnere ich mich, wie wir im Höhentrainingslager einen abenteuerlichen Abstecher zum Trailrunning gemacht haben. Meine Oberschenkel dankten es mit einem unvergesslichen Muskelkater. Nun wohnt «Timi» seit diesem Frühjahr bei mir im selben Haus in Leimiswil. Wir trainieren nach Möglichkeit zusammen, was bereits Früchte getragen hat. Bei den Schweizer Meisterschaften in Leysin konnte ich meinen Titel verteidigen, und «Timi», der nur wenige Bike-Rennen fährt, wurde grossartiger Vierter. Und weil Vital Albin, mein jüngerer Kollege im Thömus maxon Team, Vizemeister wurde, feierten wir auf dem Podest ein schon fast familiäres Fest.
Auf dieser Stufe aber als Teamkollegen zusammen zu fahren, taktisch gar gegen andere, ist schwierig im Gelände, viel schwieriger als auf der Strasse, wo man den Windschatten nutzen kann. Und so werden wir auf der Lenzerheide – am 8. Juli im Shorttrack und am 10. Juli im Cross-Country – zwar alle unser Heimrennen bestreiten. Fahren aber wird schlussendlich jeder für sich.»
Der nächste Trail Talk erscheint am 25. August im Fit for Life!