«Auf die erste Medaille war ich mega stolz»
In meiner Fit-for-Life-Kolumne thematisiere ich dieses Mal meine Berufswahl Mountainbike-Profi. Ich wünsche eine gute Lektüre!
Meinen ersten Preis erhielt ich mit neun Jahren bei einem Kinderrennen. Mit einem dritten Rang stand ich erstmals auf einem Podest und gewann eine Medaille, darauf war ich mega stolz. Velofahren war ein Hobby und machte mir Spass, aber mehr eigentlich nicht. Meine Geschwister waren besser und so richtig gepackt hat mich der Sport damals noch nicht.
Bis ich etwa 16- oder 17-jährig war, konnte ich Leistungssport nicht richtig einschätzen. Ich fuhr zwar Rennen für meinen Heimclub VC Bützberg, hatte aber keinen konkreten Wunsch, den Sport zum Beruf zu machen. So begann ich die Lehre als Baumaschinenmechaniker. Mechaniker war schon als Kind mein Traumberuf. Bereits im ersten Lehrjahr wurde ich Junioren-Weltmeister im Quer und viele sagten mir, ich hätte Potenzial für eine Sportkarriere. Der Gedanke, eine solche anzustreben, entwickelte sich aber erst mit den Jahren.
Die Lehre als Spitzensportler
Schwung aufgenommen hat meine Karriere durch den Velobauer Jan Koba. Als ich bei den Junioren erfolgreich Quer-Rennen fuhr, kam er zu mir und sagte: «Beginne doch mit Biken, ich stell dir ein Bike zur Verfügung.» Das war quasi mein erster «Vertrag», obwohl es natürlich noch keinen Vertrag gab und alles per Handschlag geregelt wurde. Den ersten Vertrag mit Unterschrift erhielt ich ein Jahr später vom damaligen Team Athleticum, welches vom späteren Nationaltrainer Bruno Diethelm geführt wurde.
Für mich war das ein Meilenstein. Nicht wegen dem ersten Lohn, den ich für mein Hobby erhielt, sondern weil ich erstmals in einem Team war mit richtigen Strukturen. Bei Diethelm absolvierte ich gewissermassen meine «Lehre» als Spitzensportler, das war eine sehr spannende und wegweisende Zeit für mich.
Der erste Schritt zum Profi
Den grossen Schritt in Richtung Profi wagte ich dann auf die Saison 2009. Durch meine Resultate im Jahr zuvor erhielt ich von vielen namhaften Teams Angebote, ich wurde regelrecht überrannt. Da mein Bruder Lukas und ich oft zusammen angefragt wurden, er etwas älter ist und damals zudem erfahrener war, konnten wir die Verhandlungen zusammen angehen.
Wie man das aber genau macht und welchen Wert wir hatten, mussten wir zuerst herausfinden. Learning by doing. Dass der Lohn zwar wichtig, aber längst nicht der einzige ausschlaggebende Punkt ist, der festgehalten werden muss, lernten wir erst über die Jahre.
Schlussendlich entschieden wir uns für das neu entstandene Werksteam Trek World Racing. Ein Grund dafür war sicher auch unser Respekt gegenüber dem grossen Namen, wir fuhren schon als Kinder auf Trek-Velos herum. Der Vertrag bei Trek brachte mir 30 000 Dollar Lohn pro Jahr. Das war für uns ein grosser und gewagter Schritt. Das Team hatte immer eine Film-Crew dabei und wir mussten schon am ersten Tag Interviews auf Englisch geben. Da wurden wir regelrecht ins kalte Wasser geworfen.
2010 wiederholte sich die Situation von 2008, allerdings noch einmal eine Stufe höher. Ich wurde U23-Weltmeister, gewann im Weltcup Podest-Plätze bei der Elite und konnte meine Lehre abschliessen. Erneut hatte ich viele Anfragen, entschied mich aber, bei Trek World Racing zu bleiben. Nun war ich erstmals ein richtiger Profi, der von seinem Beruf leben konnte. Ich verdiente zwei- bis dreimal so viel, wie ich als Baumaschinenmechaniker hätte verdienen können.
Die steigenden Erwartungen
Das war natürlich cool in meinem Alter, aber nicht nur der Lohn stieg an, sondern auch die Erwartungen vom Team und von den Sponsoren. Das ist zwar logisch, war aber neu für mich und ich musste lernen, wie ich damit umgehen konnte. Ich dachte, ich würde automatisch besser werden als Vollprofi, denn schliesslich konnte ich mich nun erstmals nur auf den Sport konzentrieren. Doch leider geht diese Gleichung nicht immer auf und ich lernte einen völlig neuen «Gegner» kennen: Die Erwartungshaltung auf den Erfolg! Und der kam ausgerechnet dann eben nicht. Die Jahre 2011 und 2012 waren sehr harzig mit einigen Platzierungen nur knapp in den ersten 40.
Wenn man so aufgewachsen ist und erzogen wurde wie ich, bekommt man in einer solchen Situation ziemlich schnell ein schlechtes Gewissen angesichts des hohen Lohns, der für die Sponsoren und das Team eine Investition darstellte, aber kein Kapital abwarf. Es war eine entscheidende Situation, erstmals lief nicht alles von selbst. Und als ich mich nicht für die Olympischen Spiele qualifizieren konnte und mir ein neuer, aber weitaus schlechterer Vertrag angeboten wurde, musste ich mir konkrete Gedanken über meine Zukunft machen.
Ich stellte mir die Gewissensfrage: Was brauche ich, um Weltspitze zu werden? Die Antwort: Ich brauche ein konkurrenzfähiges Team, das meine Anliegen und Bedürfnisse versteht. Und eins ohne Kultur- und Sprachbarrieren, damit ich mich wohl fühle. Als ich realisierte, dass es dies damals für mich nicht gab, war das zuerst ein Schock.
Der Aufbau des Teams Stöckli
Ich musste einen Schritt zurück machen und selbst nach einer Lösung suchen. So entwickelte ich ein Konzept und sprach beim damaligen Schweizer Bike-Hersteller Stöckli vor, ob sie beim Aufbau eines Weltcupteams mithelfen würden. Sie sagten tatsächlich zu, obwohl sich das Budget auch mit nur einem einzigen Fahrer bereits auf einen sechsstelligen Betrag belief. Dass sie einstiegen, machte mich enorm stolz, so konnte ich meinen eigenen Weg gehen.
Mit dem Team Stöckli war ich vier Jahre unterwegs. Vier Jahre mit soliden Resultaten, einigen Weltcup-Podestplätzen und der Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio 2016. Es waren vier Jahre, in denen ich viel über den Mountainbikesport lernte und die mir zeigten, was mir wichtig ist. Als sich Stöckli 2016 doch recht überraschend aus dem Bikesport zurückzog, wollte ich die bestehenden Strukturen unbedingt behalten und suchte neue Partner. Mittlerweile war auch Ralph Näf im Team und wir wurden fündig bei Radon, einem Bike-Discounter aus Deutschland. Die stiegen allerdings bereits Ende Jahr wieder aus und wir standen erneut mit abgesägten Hosenbeinen da.
Der passende Lohn kommt automatisch
Es zeigte sich, dass das finanzielle Risiko mit einem einzigen Hauptsponsor zu gross ist und man die Last auf mehrere Partner verteilen muss. So fanden wir 2018 schliesslich Thömus und begannen mit einem neuen Team. Finanziell musste ich allerdings deutlich kleinere Brötchen backen als vorher. Ich erhielt keinen Lohn und musste wieder vermehrt persönliche Sponsoren suchen. Doch weil das Team und das Umfeld für mich enorm wichtig sind, wollte ich in diesen Strukturen weitermachen – und es lohnte sich. Ich wurde immer besser und gewann mein erstes Weltcuprennen. Mit den Erfolgen kamen neue Partner dazu und unsere Möglichkeiten wurden dadurch grösser. Mein Vertrag wurde 2021 bereits frühzeitig um drei Jahre verlängert.
Aktuell bin ich total happy mit der Situation. Wir sind breit aufgestellt, spüren einander gut, die Strukturen stimmen und ich bin stolz, aktiv daran mitgewirkt zu haben. Rückblickend verlief meine Karriere finanziell nicht kontinuierlich bergauf, es gab Hochs und Tiefs, Situationen, in denen ich gut verdiente und solche, in denen ich nicht wusste, wie es weitergehen würde. Aber diese Herausforderung treibt mich an, auch wenn es manchmal Überwindung braucht.
Heute geht es mir finanziell gut. Ich bin keiner, der immer mehr will und ein Team ans Limit bringt. Ich bevorzuge einen Fixlohn und ein gutes Prämiensystem. Wenn ich gut fahre, verdiene ich mehr – und sonst nicht. Aktuell werden im Mountainbike-Profisport für vielversprechende Nachwuchsfahrer teils absurd hohe Löhne geboten. Diese setzen die Fahrer unter Druck und lassen ihnen kaum Zeit, sich zu entwickeln, eine Situation, die ich von früher kenne und heute besser einschätzen kann.
Meine Verträge verhandle ich auch heute noch alle selbst. Ich habe in all den Jahren gelernt, was ich brauche. Das Geld ist dabei zwar wichtig, aber nicht alleine entscheidend, denn wenn man weiss, wie man erfolgreich sein kann, kommt der passende Lohn automatisch.
Der nächste Trail Talk erscheint am 7. Dezember im Fit for Life!