«Der perfekte Kompromiss»
In seinem dritten Fit-for-Life-Blog spricht Mathias Flückiger über sein neues Thömus-Bike – warum perfektes Material im Mountainbike-Sport so wichtig ist und man ohne dieses auf Weltcup-Stufe chancenlos ist. Wir wünschen viel Spass beim Lesen!
Ich bin ein Materialtüftler, das gebe ich gerne zu. Perfektes Material im Mountainbike-Sport ist aber auch enorm wichtig und ein Dauerthema in jedem Team. Auch wir diskutieren ständig darüber, wo und wie wir noch Details verbessern können. Heutzutage sind es zwar meist keine Quantensprünge mehr, die realisiert werden können, sondern kleine Optimierungen, dies aber immer wieder von Neuem.
Wie schnell die Entwicklung ständig weiter geht, sieht man erst im Rückblick. Früher sind wir noch mit Hardtails gefahren, mit Bikes also, die nur vorne gefedert sind. Die waren rund 1200 Gramm leichter, aber weniger dynamisch. Heute fahren alle mit Fullys, die Räder sind erheblich grösser geworden, die Sattelstütze absenkbar, die Schaltung elektrisch und vorne fahren wir mit nur noch einem Kettenblatt. Ich verstelle heute im Sekundentakt sowohl Sattelhöhe wie auch die Stärke der Dämpfung.
Ein heutiges Top-Bike ist bereits in zwei- bis drei Jahren nicht mehr ganz top. Mit meinem Bike vor fünf oder sechs Jahren wäre ich heute chancenlos. Wenn man langfristige Ziele hat, ist es entsprechend wichtig, bei grundlegenden Änderungen frühzeitig die Weichen zu stellen. Diese Überlegungen haben wir uns unmittelbar nach meiner Silbermedaille in Tokio 2021 in Hinblick auf Paris 2024 gemacht. Wir wollten unser Weltcup-Bike neu überdenken und neu aufbauen, damit wir es in der Olympiasaison auch wirklich einsetzen können. Jetzt ist unser «Lightrider R3 Worldcup» da – und wir sind sehr zufrieden.
Perfekte Voraussetzungen
Doch wie genau geht man es an, wenn man ein Bike neu konzipieren will? Als Erstes muss man sich bewusst sein, wie ein Team mit seinen Sponsoren aufgestellt ist. Man kann nicht einfach mit viel Geld nach den besten Produkten auf dem Markt Ausschau halten und dann frei auswählen, sondern ist gebunden an seine Partner und Rahmenbedingungen. Wenn ein Team bei Shimano ist, kann es nicht SRAM fahren und umgekehrt. Und auch bei den Federsystemen gibt es unterschiedliche Technologien. Glücklicherweise sind wir als Schweizer Team mit einer Schweizer Bike-Marke super aufgestellt, wir haben ideale Partner, unsere Wege sind direkt und schnell. Für eine effiziente Umsetzung von neuen Ideen ist das extrem wertvoll.
Der wohl wichtigste Knackpunkt bei der Bike-Konstruktion für ein Cross Country Bike lautet: Wie schafft man es, ein leichtgewichtiges Bike zu bauen, welches super klettert und gleichzeitig ohne Mehrgewicht noch etwas mehr Federweg aufweist, damit man geradeaus und bergab noch ein bisschen schneller ist?
Dazu muss man wissen: Jedes Cross Country Bike ist ein Kompromiss zwischen Steigfähigkeit und Downhilleigenschaften. Jedes Ziehen in eine Richtung hat Auswirkungen auf die andere. Mehr Dämpfung bedeutet bergab mehr Tempo, aber auch ein höheres Tretlager, damit man nicht an Hindernissen anstösst. Und wenn man beim Gewicht sparen will, muss man ganz genau Bescheid wissen, wie der Rahmen konstruiert werden muss, damit er genügend steif und robust ist. Unser Rahmenset, inkl. DT-Swiss-Dämpfer, wiegt gerade noch 1876 Gramm.
Neu 120 mm Federweg
Wir haben den Federweg neu von 110 mm auf 120 mm gesteigert. Gleichzeitig ist das Gewicht geringer als beim Vorgänger und die Steifigkeit grösser. Um das alles zu erreichen, mussten wir die Geometrie des Bikes neu denken. Dazu benötigte es Prototypen aus Aluminium mit zahlreichen Verstellmöglichkeiten. Und dann ging es ans Testen, so viel wie möglich, das ganze Team, immer wieder und mit viel Feedback an die Konstrukteure, bis wir zufrieden waren und schlussendlich ein erster Prototyp aus Karbon gebaut werden konnte. Beim zweiten Prototyp wurde noch bei der Verteilung und Ausrichtung der Karbonfasern am Rahmen getüftelt, beim dritten und vierten noch einmal die Form leicht angepasst. Die fünfte Version war schlussendlich die finale, mit der alle zufrieden waren.
Der Teufel bei solchen Weiterentwicklungen liegt definitiv im Detail. Es braucht Hartnäckigkeit und Detailversessenheit, damit man weiterkommt. Logisch daher auch, dass jedes Team seine Aktivitäten und «Geheimnisse» möglichst lange unter Verschluss hält und nicht alles, woran man arbeitet, öffentlich preisgibt. Das ist ein bisschen ein Spiel, wie in der Automobil-Branche werden manchmal neue Teile oder Sachen optisch abgedeckt und versteckt. Ein Launch eines neuen Bikes ist immer auch eine Marketing-Aktion.
Wie gross der Anteil des Materials am Erfolg ist, lässt sich nicht beziffern, obwohl ich diese Frage immer wieder höre. Man kann die Erfolgsquote nicht in Prozent fassen. Klar aber ist: Ohne Top-Material hast du auf Weltcup-Stufe keine Chance.
Wichtige Individualisierung
Sobald Rahmenset inklusive Fahrwerk und Dämpfung definiert sind, geht es für jeden Fahrer und jede Fahrerin darum, das Setting auf die individuellen Bedürfnisse auszurichten. Dazu gibt es zahlreiche Möglichkeiten, uns stehen mehrere Gabeln und verschiedene Dämpfer zur Verfügung. Beim neuen Lightrider kann man zudem den Lenkwinkel individuell nach Präferenz einstellen.
Das individuelle Setting muss bei jedem einzelnen Rennen im Training neu abgestimmt werden, das variiert je nach Kurs und Witterung. Wenn es nass ist, spielt vor allem die Reifenwahl eine entscheidende Rolle, und auch das Fahrwerk muss dann angepasst werden, um mehr Traktion zu gewährleisten. Jede Strecke hat ihre Eigenheiten, auf die man das Bike einstellen muss.
Das ist auch in Paris so, obwohl ich die Strecke nicht kenne, da ich am Testevent nicht dabei war. Es ist – aus meiner Sicht leider – nicht eine supertechnische Strecke. Ein Parcours wie beispielsweise im Weltcup im kanadischen Mont-Sainte-Anne ist deutlich anspruchsvoller und damit auch selektiver.
Wir sind «materialtechnisch» bereit und haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Suche nach Perfektion fasziniert mich, auch wenn sie in unserem Sport nie erreicht werden kann. Aber vielleicht gibt es ja so etwas wie den perfekten Kompromiss.»
Der nächste Trail Talk erscheint am 6. Juni im Fit for Life!