«Jeder hat Krisen»
In seinem vierten Fit-for-Life-Blog spricht Mathias Flückiger über die Vor- und Nachbereitung eines Wettkampfes und welche Rolle dabei Abläufe und Rituale spielen. Wir wünschen viel Spass beim Lesen!
Viele Spitzensportler haben ihre ganz eigenen Rituale vor einem Wettkampf. Sie haben diese über die Jahre erarbeitet und ausgetestet, sie wissen, was ihnen guttut und Sicherheit vermittelt. Natürlich habe auch ich Gewohnheiten und standardisierte Abläufe, ich würde aber nicht von einem Ritual sprechen. Denn ein Ritual ist fix vorgegeben, man muss es einhalten. Und wenn das nicht geht, bewirkt es das Gegenteil von dem, wofür es eigentlich stehen soll.
Essen, schlafen, aktivieren
Am letzten Tag vor dem Rennen geht es bei mir darum die Kohlenhydratspeicher zu füllen. Ich versuche möglichst über den ganzen Tag verteilt genügend Kohlenhydrate aufzunehmen. Das ist besser als nur einen oder zwei Peaks zu haben mit grossen Mahlzeiten, die den Magen stark belasten und träge machen. Am Vortag sind wir zudem beim Training auf der Strecke, deshalb ist es doppelt wichtig, genügend Energie aufzunehmen. Als Kohlenhydratquellen verwende ich am Vortag sowohl feste wie flüssige Verpflegung und trinke auch mal ein spezielles Carboloading-Getränk.
Das Training am Vortag steht unter dem Fokus Material-Abstimmung. Man versucht zu antizipieren, wie die Verhältnisse am Renntag sein werden und stimmt das Material wie beispielsweise die Reifenwahl darauf ab. Physisch ist das letzte Training nicht mehr sehr anstrengend. Aber weil man die genaue Linienwahl definieren möchte, muss man gewisse Passagen auch im Renntempo durchfahren. Es gibt auch Fahrer, die fahren eine ganze Runde möglichst schnell, um das Wettkampfgefühl zu bekommen, das mache ich aber nicht.
Meine Vorbereitungen ab dem Abend vor dem Wettkampf kann man mit folgenden Schlagworten charakterisieren: essen, schlafen, aktivieren. Beim Abendessen stehen erneut die Kohlenhydrate im Fokus, aber nicht immer mit dem gleichen Essen. Was bei mir am Vorabend aber immer ist: Das Nachtessen ist glutenfrei. Meist fällt die Wahl auf Reis, aber auch Kartoffeln sind gut. Wir haben immer einen Koch im Team dabei, der für uns kocht, müssen also nicht auf Restaurants ausweichen.
Das Abendessen findet eher früh am Abend statt, damit es den Schlaf nicht beeinträchtigt. Meist bewege ich mich dann noch ein bisschen nach dem Essen, zum Beispiel mit einem Spaziergang, bevor ich ins Hotelzimmer gehe. Dort versuche ich mental abzuschalten, lasse das Handy beiseite und nehme es ruhig. Schlafenszeit ist gegen 22 Uhr, normalerweise habe ich einen guten Schlaf.
Kein unnötiges Zusatzgewicht
Am liebsten ist es mir, wenn ich ohne Wecker aufstehen kann, also dem natürlichen Schlafrhythmus entsprechend. Im Mountainbikesport ist das gut möglich, denn die Rennen finden meist am Nachmittag statt. Gewöhnlich wache ich vor acht Uhr auf. Das Morgenessen sieht immer gleich aus: ein Müesli mit Haferflocken.
Danach berechnen wir die exakte Wettkampfverpflegung. Die Art und Menge der Bereitstellung hängt von der Anzahl Runden ab, die gefahren werden müssen. Im Weltcup darf man nur noch einmal pro Runde Verpflegung fassen. Anhand der Rundenlänge berechnen wir, wieviel Flüssigkeit pro Runde im Bidon sein muss. Wenn der Bidon komplett voll ist, man aber nur die Hälfte davon trinkt pro Runde, schleppt man unnötigerweise 300 Gramm mit sich rum. Die Menge an Flüssigkeit berechnen wir so, dass ich 90–100 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde einnehme. Als Quellen dafür nutze ich Getränke, aber auch Gels. Diese haben den Vorteil, dass sie kaum Gewicht einnehmen, so kann man sie gut im Trikot mitführen.
Aktivieren, duschen, runterfahren
Nach dem Morgenessen – rund fünf Stunden vor dem Wettkampf – aktiviere ich den Kreislauf. Meist sitze ich dafür 20–30 Minuten aufs Bike, aber äusserst moderat und nur sehr locker. Danach dusche ich, und rund viereinhalb Stunden vor dem Wettkampf nehme ich die letzte Mahlzeit ein. Die sieht immer gleich aus – eine Portion weisser Reis mit ganz wenig Ölivenöl. Ich weiss, das ist kein «Gourmet-Menü», aber das muss es zu diesem Zeitpunkt auch nicht sein. Es geht darum, noch einmal Kohlenhydrate aufzunehmen ohne den Magen zu belasten.
Zurück im Hotelzimmer packe ich meinen Finisher-Bag. Da drin sind alle Sachen, die ich nach dem Rennen brauche. Wechselkleider, aber auch Cap oder Shirt, falls ich auf dem Podium lande. Den Finisher-Bag übergebe ich dann unserem Physio. Danach lege ich mich noch einmal hin und entspanne. Allenfalls schaue ich ein bisschen ins Damenrennen rein, wenn es eins hat, um die Situation vor Ort einzuschätzen und auch um mich mental einzustimmen.
Rund 75 Minuten vor dem Wettkampf verlasse ich das Hotel und nehme nur noch die nötigen Sachen für das Rennen mit. Wenn möglich fahre ich mit dem Velo aufs Renngelände. Eine Stunde vor dem Wettkampf fahre ich mich für rund 40 Minuten ein, um das ganze System kontinuierlich hochzufahren und zu kontrollieren, ob die Materialwahl passt. Und zum Schluss definiere ich die Gangwahl für den Start. Der passende Gang hängt vom Untergrund ab.
Die eingeteilten Startboxen schliessen rund 15 Minuten vor dem Rennen, dann muss man drin sein. Die einen fahren da noch auf der Rolle als Aktivierung. Das mache ich aber nicht, ausser es ist extrem kalt und ich muss mich aufwärmen. Ich bewege mich nur noch wenig, sondern nutze die letzten Minuten, um mich mental aufs Rennen zu fokussieren und alle ablenkenden Gedanken auszuschalten. Ich konzentriere mich auf meine Vorsätze für das Rennen.
Umgang mit Zweifeln entscheidet
Im Wettkampf ist es wichtig, sich nicht zu stark von momentanen Gefühlen beeinflussen zu lassen. Dass man sich vom Start bis ins Ziel in einem Hoch befinden kann, entspricht nicht der Realität, jeder Athlet hat in jedem Rennen irgendwann Krisen. Deshalb ist die entscheidende Frage, wie gut man mit Zweifeln während des Rennens umgehen kann.
Der Erschöpfungsgrad im Ziel hängt auch vom erzielten Rang ab. Bei einem super Resultat empfindet man die Müdigkeit anders als bei einem missratenen Rennen. Oft muss man für die ersten wichtigen Massnahmen wie Kleiderwechsel oder Flüssigkeitsaufnahme die Vernunft walten lassen, obwohl man keine Lust darauf hat. Aber man muss versuchen professionell zu bleiben. Das ganze Prozedere nach dem Rennen hängt auch davon ab, ob man noch zur Siegerehrung darf oder direkt ins Hotel fährt. Ein Ausfahren ist immer sinnvoll für Körper und Geist, und wenn es nur die Fahrt zurück ins Hotel ist.
Der nächste Trail Talk erscheint am 25. Juli im Fit for Life!