«Bald steht eine Pause an»
In seiner Fit-for-Life-Kolumne spricht Mathias Flückiger über die Vorbereitung auf die WM im August. Viel Spass beim Lesen!
«Jetzt fahre ich noch den Weltcup in Val di Sole, danach ist anfangs Juli eine Pause geplant. Die Ruhetage nutze ich, um das gerissene Band im Daumen zu operieren. Danach bleiben noch knapp sechs Wochen bis zum grossen Saisonziel, der WM in Glasgow.
Die Trainingsgestaltung während der Saison ist im Mountainbikesport ein ständiges Abwägen. Nach vielen Renneinsätzen spüre ich die Erschöpfung meist nicht nur physisch, sondern auch mental. Irgendwann bin ich dann nicht mehr in der Lage, das Letzte aus mir herauszukitzeln.
Kurz runterfahren und Batterien aufladen
Wenn wie im Weltcup mit Short-Track- und Cross-Country-Rennen an den Weekends gleich zwei Wettkämpfe mit maximalem Einsatz stattfinden, bleibt während der Woche nicht mehr viel Zeit für weitere intensive Einheiten. Am Montag und Dienstag stehen meist eher längere und ruhigere Trainings an, am Mittwoch ein intensives, und am Donnerstag geht’s schon wieder an die Vorbereitung fürs Rennen am Freitag. Der gesamte Trainingsumfang ist in solchen Phasen mit wöchentlich rund 15 Stunden nicht sehr hoch. Damit kann ich die Form ein paar Wochen halten, aber durch die geringe Gesamttrainings-Load nicht weiter steigern – und irgendwann bricht die Form zusammen. Daher lautet das Motto aktuell: Kurz runterfahren und Batterien aufladen, und dann vor allem wieder den Umfang steigern.
Zum Glück sind die Fähigkeiten, die bei einem Short-Track- und einem Cross-Country-Rennen gefragt sind, nicht unterschiedlich. Auch ein Short-Track-Rennen dauert 20 Minuten, ist also kein Sprint und es werden die gleichen Systeme belastet wie bei einem Cross-Country-Rennen. Deshalb muss ich das Training nicht unterscheiden. Bezüglich Stellenwert ist für mich aber ganz klar Cross-Country wichtiger. Beim Short-Track will ich vor allem eine gute Startposition ergattern.
Häufig fragen mich die Leute, wie hart ich trainiere und wann am härtesten? Dann muss ich zurückfragen: was ist schon hart, und was noch härter? Sind kurze Intervalle in drei Serien mit 30 Sekunden Belastung und 15 Sekunden Pausen à 15 Wiederholungen härter oder angenehmer als drei 20-Minuten-Intervalle, die dann dafür nicht maximal, sondern eher im Schwellenbereich gefahren werden? Gezielte Intervalle fahre ich praktisch immer auf der Strasse.
Spitzensport ist Gefühlssache
Im Leistungssport ist vieles extrem individuell. Daten sind mir wichtig, aber man kann sich auch darin «verbeissen». Spitzensport ist und bleibt eine Gefühlssache. Daten können einen darin unterstützen, das Training zu steuern, aber sie können auch dazu führen, dass man vergisst, auf sein Gefühl zu hören. Der Mensch ist zum Glück keine Maschine.
Ein gutes Beispiel dafür ist Tadej Pogačar. 2020 gewann er bei der Tour de France das Bergzeitfahren nach La Planche des Belles Filles und entschied damit die Tour zu seinen Gunsten. Pogačar ist beim Zeitfahren weder mit einem Computer gefahren noch mit einem Leistungsmesssystem, sondern einfach nach Gefühl.
Ich zeichne zwar alle meine Trainings und die meisten Wettkämpfe auf, aber nutze die Daten in erster Linie dafür, mich ab und an zu orientieren oder mein Gefühl zu «kalibrieren». Ich würde mal behaupten, ich könnte ohne Leistungsmesssystem intuitiv in einem gewünschten Leistungsbereich von plus/minus fünf Watt fahren. Das gleiche gilt für die Kadenz. Hätte ich aber die Technik nicht zur Kontrolle, würde ich mit dem Gefühl alleine wohl irgendwann abdriften.
Da wir schon beim Thema Leistungsmessung sind: Ich wurde von der Technik schon oft getäuscht. Kein Wattmesssystem ist hundert Prozent genau, Abweichungen von 2-3 Prozent sind normal. Persönliche Leistungsunterschiede in diesem Bereich sind aber bereits erheblich.
An meinem Wettkampfbike ist ein Wattmessgerät fix installiert, ich schaue aber nur wenig darauf. Am ehesten noch in der Startphase, denn die kann unter Adrenalineinfluss trügerisch sein. Wenn du nach anderthalb Minuten merkst, dass du noch mit beinahe 600 Watt unterwegs bist, musst du zurückschrauben, sonst rächt sich das enorm. Es gibt Strecken, die sind mit langen Startaufstiegen prädestiniert dafür, dass man zu früh in die Erschöpfung gerät, das musste ich schon mehrfach brutal erleben.
Was ich damit sagen will: Es braucht eine gute Balance zwischen Daten und Gefühl. Und ich denke, das Letztere kommt heute oft zu kurz. Mit der Erfahrung spüre ich immer intuitiver, was es in einzelnen Situationen erträgt und was nicht. Es ist zudem nicht überall gleich entscheidend, von Beginn weg ganz vorne zu sein. Bei verblockten Startphasen zieht sich das Feld extrem schnell auseinander und man verliert hinten sofort viel Zeit, bei anderen Rennen ist es okay, wenn man erst als Zehnter aus der Startphase kommt. Grundsätzlich liegt mir die Starthektik, in Lücken zu preschen und eine gute Position zu finden.
Verschiedene Erfolgsfaktoren
Ich bin zuversichtlich, im August in Höchstform zu sein. Die Form im Juni stimmte, aber mit dem Bänderriss am Daumen kam mir eine Verletzung in die Quere. Die Zuspitzung der Form auf ein Ziel hin ist eine stete Gratwanderung zwischen zu wenig und zu viel. Die Intensität im Training werde ich intuitiv variieren. Dabei ist auch die mentale Erholung entscheidend, die kann ohnehin kein Computer voraussagen. Daher weiss ich heute noch nicht, was genau ich in zwei Wochen trainiere, meine Wochenprogramme sind nur grob vordefiniert. Die letzte Woche vor dem WM-Startschuss ist aber definitiv eine ruhige Woche.
Die taktische Ausrichtung erfolgt erst rund zwei bis drei Tage vor dem Wettkampf. Ich bin dabei auf mich fokussiert und achte nicht auf die Konkurrenz. Ein entscheidender Punkt an der WM wird die Materialabstimmung sein. Ist es trocken? Und wenn es regnet, wie stark ist der Boden aufgeweicht? Am schlimmsten ist es, wenn das Wetter erst beim Einfahren wechselt und man nicht recht weiss, in welche Richtung. Dann ist die Reifenwahl wie bei der Formel 1 ein Pokerspiel und man kann entweder Glück oder Pech haben. Mehr Profil hat mehr Grip, rollt aber schlechter. Die optimale Materialabstimmung ist entscheidend und ich spreche mich immer mit meinem Mechaniker Gavin Black und mit Teammanager Ralph Näf ab.
Die Linienwahl ist ebenfalls eine taktische Geschichte, und auch da hilft mir mein Team beim Definieren der optimalen Route. Manchmal muss man auch mehrere Szenarien durchdenken und je nach Stand im Rennen vom einen zum anderen switchen.
Definitiv einen zusätzlichen Motivationsschub gibt mir diese Saison die Anwesenheit meiner Partnerin Lisa. Sie beginnt erst im Herbst wieder mit einer Stelle als Lehrerin und wollte für einmal den Mountainbike-Rennzirkus live miterleben. Sie ist noch bis Oktober immer dabei. Das geniesse ich und es hilft mir sehr.
Wir hoffen nun beide, dass die Ärzte meinen Daumen wieder hinkriegen und freuen uns auf die Zeit in Glasgow. Mehr über die WM erfahren Sie schon im nächsten Trail Talk, welcher am 17. August im Fit for Life erscheint!