«Ich bin für ein Miteinander»
In meiner Fit-for-Life-Kolumne spreche ich über die Entwicklung des Mountainbike-Sports. Viel Spass beim Lesen!
Mein erstes Weltcuprennen bei der Elite bin ich – damals noch als U-23-Sportler – 2007 in Houffalize gefahren, also vor mittlerweile 16 Jahren. Seither hat sich einiges getan in unserem Sport.
Know-how der Trailbauer
Ein wichtiger Unterschied sind die Strecken. In meinen Anfängen kannte man noch keine «Rockgarden & Co.». Die Strecken wurden damals zwar bereits präpariert, aber nicht speziell gebaut. So hatte jede Destination ihre eigene Charakteristik. Das habe ich sehr geschätzt. Heute sind die Strecken weniger individuell, sondern haben sich durch die vielen ähnlich konstruierten Passagen angeglichen.
Grundsätzlich habe ich nichts gegen gebaute Strecken, doch nicht immer ist der Sinn einzelner Abschnitte ersichtlich. Wenn ein Rockgarden nur gerade fünf Meter lang fürs Fernsehen gebaut wird, bringt er nichts. Technische Passagen selektionieren erst dann – und das ist ja eigentlich der Sinn der Sache – wenn sie lange genug sind. Und flowige Passagen sollten auch wirklich flowig sein, was mit den passenden Kurvenradien gar nicht so einfach zu bewerkstelligen ist. Gute Trailbauer müssen viel Know-how vom Bikesport haben.
Ich finde, dass Mountainbikerennen technisch schwierig und konditionell hart sein müssen, damit am Schluss auch wirklich der gesamthaft stärkste Fahrer gewinnt. Als 2020 beim Weltcuprennen in Nove Mesto die Strecke auf rund eine Stunde Fahrzeit verkürzt wurde und kaum mehr selektive Passagen vorhanden waren, lagen in der letzten Runde noch 20 Fahrer dicht beieinander. Da fragte ich mich schon, ob das nun die neue Stossrichtung moderner Strecken sein sollte, zumal wir ja seit 2018 mit den Short-Track-Rennen genau diese Charakteristik abdecken. Doch zum Glück war das damals nur in Nove Mesto so. Die aktuelle Dauer eines Cross-Country-Rennens von rund 75-90 Minuten ist gut. Und sie sollte beibehalten werden, kürzer wäre schade.
Entwicklung des Materials
Ein zweiter wesentlicher Unterschied zu früher betrifft das Material. Am meisten getan hat sich bei der Federung und bei den Reifen. Bei meinem Weltcupeinstieg war ich noch mit einem Hardtail unterwegs und kleinen 26-Zoll-Rädern. Damals galt die Devise, mit einem möglichst leichten Bike gut bergauf fahren zu können. Heute ist Fullsuspension Standard und auch bei den Reifen hat sich enorm viel getan. Sie haben mit 29-Zoll-Rädern viel mehr Durchmesser als früher und werden zudem wesentlich breiter und mit weniger Luftdruck gefahren. Der Grund: Man hat gemerkt, dass ein gutes Rollverhalten entscheidend ist und weniger das Gewicht. Mein WM-Bike 2007 war mit 7,8 Kilo rund drei Kilo leichter als mein jetziges Bike. Trotz Mehrgewicht klettern heutige Bikes ebenso gut, sind bergab aber deutlich schneller und komfortabler. Ich würde schätzen, dass ich mit meinem Bike von 2007 heute nicht mehr in die Top 50 fahren könnte, so stark hat sich das Material entwickelt.
Und die Entwicklung wird weitergehen. Potenzial sehe ich bei Details wie beispielsweise bei der Ergonomie des Handlings. Beim Weltcup in Lenzerheide gab es Situationen, wo man innerhalb von fünf Sekunden dreimal die Dämpfungseigenschaften verändern und gleichzeitig noch die Sattelhöhe verstellen musste. Da kann die leichte Ansteuerung der einzelnen Elemente entscheidend sein. Ich bin sicher, dass die Elektronik diesbezüglich noch weit mehr Einzug halten wird und noch lange nicht ausgereizt ist.
Gerade wegen solcher Details ist es mir wichtig, dass ich Input geben kann. Das ist ein entscheidender Grund, weshalb ich seit Jahren mit den gleichen Firmen wie Thömus, DT Swiss, Selle Italia oder Schwalbe zusammenarbeite. Bald kommt ein neuer Reifen von Schwalbe auf den Markt, bei dem ich stark mitgewirkt habe.
Begeisterung für den Mountainbikesport
Was sich im Vergleich zu meinen Anfangszeiten ebenfalls verändert hat, ist die Bedeutung, die der Mountainbikesport heute geniesst. Unsere Sportart ist gewachsen, die Aussenwahrnehmung und auch die Publikumsresonanz sind viel grösser als früher. Gleichzeitig ist auch der Hobbysport in allen Bereichen gewachsen. Auch da waren vor 15 Jahren gebaute Trails kaum ein Thema. Heute sind Biker für zahlreiche Tourismusregionen wichtige Kunden.
Dass meine Sportart wächst und die Menschen begeistert, freut mich. Denn grundsätzlich kann man sicher sagen: Je mehr Velos unterwegs sind, umso besser für eine Gesellschaft und den Fussabdruck derselben. Velofahren kann man in der Schweiz überall von zuhause aus und es braucht keine neue und aufwändige Infrastruktur. Die meisten Trails könnte man gut mit dem natürlichen Material bauen, welches dort vorhanden ist. Da muss man sicher aufpassen, dass nicht übertrieben wird.
Toleranz von allen Seiten
Gerade wegen des Booms und vor allem auch mit dem grossen Aufschwung der E-Bikes befindet sich der Mountainbikesport aktuell in einer heiklen Phase. Denn wo ein Boom ist, kommt es kurzfristig zu einem Dichtestress. Und das wiederum führt zu Konflikten. Interessanterweise aktuell nicht nur zu Konflikten zwischen Wanderern und Bikern, sondern auch zwischen Bikern und E-Bikern.
Ich finde E-Bikes grundsätzlich eine gute Sache. Sie haben den Bike-Kuchen nicht neu aufgeteilt, sondern deutlich erweitert, was für die Branche ein Segen ist. Dadurch sind viele Menschen neu zum Velofahren gekommen, die bislang nichts damit am Hut hatten.
Auch ich nutze gelegentlich mit meinem Thömus Ligthrider E Ultimate ein E-Bike, beispielsweise wenn ich nach einem harten Intervalltraining auf der Strasse am Nachmittag noch ein lockeres Training auf einen Berg machen möchte. Mit dem E-Bike kann ich die Natur geniessen und gleichzeitig Pulsfrequenz sowie Wattleistung gezielt dosieren, man fährt zudem nicht ständig in zu grossen Gängen wie auf dem «Bio-Bike».
Dass viele neue E-Biker noch nicht so gut velofahren können und oft auch das Tempo und die Wucht ihres E-Bikes unterschätzen, ist nachvollziehbar. Aber ich bin überzeugt, dass sich das in den nächsten Jahren anpasst und Mountainbiking für die Tourismusregionen noch wichtiger werden wird. Viele Destinationen setzten lange nur auf den Winter. Doch diese werden immer kürzer und die Sommer länger, der Bikesport als Freizeitbeschäftigung wird daher sicher noch einmal zulegen.
Wenn der gleiche Raum von mehr Leuten beansprucht wird, muss man etwas Raum abgeben und es hilft schlussendlich nur eins: Toleranz! Und zwar Toleranz von allen Seiten, also sowohl von Bikern wie Wanderern. Aktuell muss der Biker oft vorschnell als Sündenbock herhalten.
Ich bin nicht dafür, dass man rigoros alles entflechtet und trennt. Gewiss, an manchen Orten ist das unumgänglich und sinnvoll, aber ich bin für ein Miteinander. Wenn alle rücksichtsvoll sind, haben auch alle Platz.
Der nächste Trail Talk erscheint am 21. September im Fit for Life!