«Man muss man den Drang haben, Grenzen zu verschieben»
In meiner Fit-for-Life-Kolumne thematisiere ich dieses Mal die Fahrtechnik im Mountainbiken, meine persönliche Art zu lernen und warum es heute die guten Techniker schwieriger haben. Ich wünsche eine gute Lektüre!
Das erste Mal bin ich als etwa Vierjähriger auf einem Velo gesessen. Das war noch eins mit Stützrädern, denn Laufräder gab es damals nicht. Nach und nach wurde das Velo immer präsenter und mein treuer Begleiter, allerdings mehr im Alltag und zu Beginn noch nicht als Sportgerät. Mein Schulweg war recht lang, zuerst gings rasant runter und dann wieder rauf, wir wohnten oben am Berg und mussten rund 150 Höhenmeter überwinden.
Eine wichtige Rolle spielte mein vier Jahre älterer Bruder Lukas, der schon früh Rennen fuhr. Als wir ihn einmal mit dem Auto abholten, kam er gerade von der Radquer-WM der Junioren nach Hause. Als er euphorisch davon erzählte, hat mich das auch begeistert und ich habe mir vorgenommen, das einmal erleben zu wollen. Das war ein wichtiges Schlüsselerlebnis für meine Karriere, denn vorher hat es nicht gefunkt, obwohl ich mein erstes Rennen bereits ein paar Jahre zuvor bestritt, mit neun Jahren. Aber ich muss gestehen, es war keine «Liebe auf den ersten Blick». Die ersten Wettkämpfe bedeuteten für mich vielmehr einen Riesen-Krampf und alles andere als Spass.
Zu meinen ersten Rennerfahrungen gibt es zudem noch eine Anekdote, die mir ab und zu unter die Nase gerieben wird. Es war beim damaligen Berner Cup in Farnern. Ich wurde Zweitletzter, obwohl ich komplett überzeugt war, eine Runde zu viel gefahren und nur darum so schlecht rangiert gewesen zu sein. Meine gemischten Gefühle gegenüber den Rennen hielten sich noch einige Jahre. Ich hatte einfach lange mehr Freude am Unihockey spielen. Freude am Velofahren hingegen hatte ich schon damals.
Learning by doing – Wir hatten kein Youtube und Instagram
Nach dem Umbau des Elternhauses lagen überall Erdhaufen rund ums Haus und wir bauten Schanzen und übten Sprünge. Learning by doing. Das ist bei den Kindern sicher auch heute noch so, aber der grosse Unterschied zu früher ist, dass wir damals nirgends abschauen konnten. Wir mussten selbst herausfinden, wie viel Tempo es braucht oder wie weit entfernt eine Landung nach dem Sprung sein muss oder darf. Heute ist das Niveau von Kindern schon früh auf einem ganz anderen Level. Auf Youtube und Instagram finden sie tausende von Filmen, die sie in ihrem Hirn abspeichern. Das theoretische Wissen und die konkrete Vorstellung, wie ein Bikesprung aussehen soll, sind zentral, um ihn dann auch wirklich zu erlernen und umsetzen zu können.
Was es früher ebenfalls kaum gab, waren gebaute Trails, in unserer Region sowie so nicht. Allenfalls hatte es einige Wanderwege, die so aussahen wie Trails, aber die wurden sehr schnell langweilig. So haben wir schon früh begonnen, selber Trails zu bauen. Die einzelnen Abschnitte waren vielleicht nur wenige Meter lang, aber wir sind sie unermüdlich hunderte Male abgefahren, immer und immer wieder. Stürzen gehörte selbstverständlich auch dazu. Aber ohne hätte man seine Grenzen nicht kennengelernt. Die vielen Stürze früher helfen mir noch heute – so glaube ich zumindest – damit ich mich richtig verhalte, wenn ich mal zu Fall komme. Bis heute habe ich noch nie etwas gebrochen – «Holz alänge».
Mit den Jahren kamen bei mir auch in den Rennen die ersten Erfolgserlebnisse und gaben mir Selbstvertrauen. Und so entwickelte sich auch meine Fahrtechnik immer weiter. Damit man technisch Fortschritte macht, muss man den Drang haben, Grenzen zu verschieben. Etwas zu können, was Mut und Überwindung erfordert, war und ist noch heute wichtig für mich.
Für super Techniker ist es schwieriger geworden, in den Abfahrten eine Differenz zu machen
An der Weltspitze hat sich das Niveau fahrtechnisch in den letzten Jahren angeglichen, die Top 20-30 fahren alle auf einem sehr hohen Niveau. Die Technik war zwar immer wichtig, aber sehr lange wurde im Training vor allem in die Physis investiert. Die Fahrtechnik wurde mehr beiläufig geschult. Heute sieht das anders aus. Bei den Weltcuprennen haben viele Teams eigene Techniktrainier mit dabei. Für super Techniker ist es dadurch schwieriger, in den Abfahrten eine Differenz zu machen. Wenn man vor zehn Jahren auf einer Strecke einen Sprung von einem Meter hatte, war das für einige bereits eine grosse Herausforderung. Heute fahren Juniorinnen Sprünge, bei denen man vier bis fünf Meter weit springen muss, damit man nicht im Graben landet. Klar, bei solchen Passagen gibt es heute auch B-Lines, aber gerade jüngst bei der WM in Glasgow war es eindrücklich zu sehen, wie gut heutige Junioren und Juniorinnen ihr Bike beherrschen.
Unterschiede bestehen heute vor allem beim Speed, mit dem man unterwegs ist. An die perfekte Linienwahl und das Tempo muss man sich jeweils herantasten. Bei der Streckenbesichtigung fahre ich beim ersten Mal den Kurs einfach dosiert ab, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Zuerst überall stoppen und die Passage zu Fuss besichtigen, mache ich aber nicht oder nur selten. Wenn ich im Engadin einen Trail runterfahre, schaue ich den ja auch nicht vorher an, sondern entscheide spontan, was wann angezeigt ist.
Bei den Rennen gibt es eigentlich keine unfahrbaren Passagen, sondern höchstens leichtere und schwierigere Linien. Wenn bei der Besichtigung plötzlich 20 Fahrer an einer Stelle stehen, halte ich auch an, um zu schauen, was da speziell ist. Oft schaukelt sich eine Angst im Kollektiv etwas hoch und relativiert sich dann schnell wieder, wenn man sich an die Stelle herantastet. Die WM-Strecke beispielsweise war technisch einfach.
Ich bevorzuge Enduro gegenüber Balancetraining
Wenn es um die perfekte Linienwahl geht, beobachte ich viel. Und im Winter fahre ich regelmässig mit dem Enduro-Bike. So lerne ich bei hohen Geschwindigkeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen, das kann ich dann auch aufs Cross-Country-Bike übertragen. Nach wie vor baue ich spezielle Sachen selber und orientiere mich dabei an den Anforderungen, die ich auf den Weltcupstrecken antreffe. Heute hat es bei den Rennen häufig verblockte Passagen drin, bei denen ein ständiges Anpassen der Gewichtsverteilung von vorne nach hinten und umgekehrt nötig ist. Solche Passagen baue ich nach und übe sie. Auch auf den Pumptrack gehe ich ab und zu. Effizientes Wellenfahren ist bei jedem Rennen gefragt und spart Energie, wenn man es kann. Im Training kann es auch bergauf gut sein, dass mich der Ehrgeiz packt, wenn ich eine schwierige Stelle nicht auf Anhieb schaffe. Dann fahre ich sie so oft, bis es klappt.
Mit alternativen Trainingsmethoden wie Balancetraining oder Übungen mit Koordinationsaufgaben hingegen habe ich es weniger. Ich sehe bei solchen Sachen die konkrete Verbindung und Umsetzung nicht, da bevorzuge ich die Praxis direkt auf den Strecken. Oder versuche verwandte Sportarten miteinzubeziehen wie beispielsweise Motocross.
Ich freu mich schon jetzt auf den Herbst und darauf, wieder Sachen bauen und üben zu können. Das ist neben dem Ausdauertraining immer auch gut für den Kopf und die Motivation. Zudem bin ich überzeugt, dass ich technisch immer noch besser werden kann und nie ausgelernt habe.
Der nächste Trail Talk erscheint am 27. Oktober im Fit for Life!